Industry Groove – Woche 35

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Wir leben in einer Zeit, in der es ein großes Bedürfnis gibt, Musik nicht nur zu konsumieren, sondern aktiv daran teilzunehmen. Gleichzeitig machen KI-Tools dies so einfach wie noch nie zuvor. Diese beiden sich optimal ergänzenden Entwicklungen werden die Musikindustrie in den kommenden Jahren massiv prägen und vor mächtige Herausforderungen stellen. Doch natürlich bieten sich dadurch auch Chancen.

Ich persönlich bin schon das eine oder andere Mal leicht erschrocken, als ich darüber gelesen habe, wie TikTok die Fan-Made-Music prägen wird und was da alles auf uns zukommt. Noch einen Schritt weiter geht der Artikel, in dem die Frage aufgeworfen wird, ob bald jeder auf ihn maßgeschneiderte Musik erhält. Dies würde bedeuten, dass nicht nur der Feed personalisiert ist, sondern auch die Musik selbst. Ob dies ein Traum oder eine Dystopie ist, muss jeder für sich entscheiden.

Die Kinder müssen wieder in die Schule, es ist also höchste Zeit für alle, die keine schulpflichtigen Kinder haben, in den Urlaub zu fahren. So auch für mich. Daher wird der Industry Groove Newsletter in den nächsten beiden Wochen nicht erscheinen. Wir lesen uns am 21. September wieder.


TikTok und Fan-Made-Music

  • Remix-Kultur, Konsum und Kreation gehen immer mehr Hand in Hand. Einer der wichtigsten Treiber dieser Entwicklung ist TikTok und dies je länger desto mehr nicht nur als Schaufenster für diese Kreationen.
  • Mit Mawf und Ripple hat TikTok gleich zwei Tools zur Erstellung von Musik. MIDiA erklärt deshalb: TikToks Musik-Erstellungs-Ära steht kurz bevor.
  • Letztendlich ist es immer das Ziel, die User auf der eigenen Plattform zu halten. Daher wird TikTok Music expandieren, damit die Nutzer nicht auf DSPs ausweichen müssen und deshalb engagiert TikTok sich auch im Bereich der Musikerstellung, damit die User nicht auf andere Anbieter zurückgreifen müssen.
  • Die Zukunft sieht also so aus, dass man nicht nur die bestehenden Songs in seine Videos einbinden kann, sondern die Tracks zuvor nach Belieben bearbeiten kann.
  • Und natürlich kommt hier auch KI ins Spiel, die es etwa ermöglicht, Stems von Songs zu erstellen und so gewisse Elemente eines Tracks wegzulassen oder zu verändern.
  • Es ist absehbar, dass eine Generation heranwächst, für die es normal ist, Songs nicht nur abzuspielen, sondern auch mit ihnen zu spielen. Tracks werden nicht mehr nur konsumiert, sondern bearbeitet, verändert oder als Grundlage für etwas völlig Neues genutzt.
  • Aus Sicht der Rechteinhaber*innen klingt das erst einmal ziemlich erschreckend. MIDiA hebt jedoch vor allem die positiven Seiten hervor: Fans identifizieren sich viel stärker mit einem Song oder Artist, wenn sie sich selbst kreativ mit dem Song austoben konnten.
  • MIDiA schlägt dann auch vor, dass es auf den Künstler*inneprofilen auf TikTok Music eine “Fan Made“-Sektion geben sollte, in der alle Bearbeitungen eines Songs, die über SoundOn hochgeladen wurden, zu finden sind.
  • Sie sehen die Musikbearbeitung als eine Erweiterung des Fandaseins und daher die musikalischen Bearbeitungen vor allem als (monetäre) Chance für die Rechteinhaber*innen.
  • Das ist sicherlich nicht komplett falsch, jedoch ist es etwas naiv davon auszugehen, dass nur begeisterte Fans die vorhandenen Tools mit einem positiven Hintergedanken nutzen werden. Wie immer werden auch Betrüger*innen auftauchen und wegen diesen sind einige Regeln und Einschränkungen dann wohl doch unausweichlich.

TikTok und Shopping

  • Medienberichten zufolge plant TikTok, zukünftig Links zu E-Commerce-Shops wie Amazon zu blockieren. Die User sollen nur noch über den hauseigenen TikTok Shop einkaufen können.
  • Überraschend wäre dies nicht. Douyin, die chinesische Version von TikTok, hat diesen Schritt bereits 2020 vollzogen.
  • Offenbar könnte der TikTok Shop diesen Schub auch benötigen. In den USA soll er dieses Jahr voraussichtlich einen Verlust von 500 Millionen einfahren. Dies liegt zum einen an den großen Investitionen, aber auch daran, dass pro Tag „nur“ Waren im Wert von rund 3-4 Millionen Dollar über den TikTok Shop verkauft werden.
  • Ganz anders sieht es jedoch in Südostasien aus, wo der Shop bereits 2021 gestartet ist und mittlerweile täglich Verkäufe von 50-60 Millionen Dollar generiert.
  • Sollte TikTok diesen Schritt machen und andere Anbieter ausschließen, ist davon auszugehen, dass diese sich wehren werden. Im gegenwärtigen Klima, wo viele Regierungen TikTok möglichst einschränken wollen, könnten sie damit durchaus Erfolg haben.
  • Auch für Musiker*innen wird es natürlich umständlicher, wenn sie nicht einfach ihren bereits gut laufenden und etablierten Store verlinken können, sondern auf TikTok Shop umstellen müssen.

Für jeden User seine ganz eigene Musik? Traum oder Dystopie?

  • Es ist inzwischen ganz normal geworden, dass jeder von uns auf den von uns genutzten Netzwerken einen individuellen Feed hat und die DSPs personalisierte Playlists für uns erstellen. Ein Artikel von MIDiA zeigt, dass diese Hyper-Personalisierung noch viel weiter voranschreiten könnte und die Hörer*innen noch viel stärker in ihren sehr spezifischen Nischen bedient werden könnten.
  • Wieder einmal ist es KI, die einen maßgeblichen Teil zur Verstärkung dieses Trends beiträgt. Dies geschieht etwa dadurch, dass bald jede und jeder mit einfachen Prompts genau die Musik erstellen kann, die sie sich wünscht.
  • Hinsichtlich der Zusammenarbeit von Universal und YouTube sieht die Autorin die Möglichkeit, dass diese Hyper-Personalisierung auf die Spitze getrieben werden könnte, indem jeder User eine etwas andere Version eines veröffentlichten Songs erhält. Ein musikalischer Traum oder eine abgrundtiefe Dystopie?
  • Fakt ist, dass die User personalisierten Content bereits heute erwarten und dass in der gegenwärtigen Remix-Kultur die Veröffentlichung eines Songs nur der Anfang seines Lebenszyklus ist (siehe oben). KI verstärkt all dies nur noch.
  • Bewegen wir uns also auf eine Zukunft zu, in der nicht nur der Feed personalisiert ist, sondern auch der Content selbst? Jeder User erhält eine Version des Songs, die auf seine Präferenzen zugeschnitten ist, wie z.B. das Tempo, die verwendeten Instrumente oder die Sprache.
  • Was nach Zukunftsmusik klingt, könnte bald Realität werden. Ob wir dies auch wirklich wollen, ist natürlich eine ganz andere Frage.

Bonus Reads

  • Aufmerksame Leser*innen werden sich daran erinnern, dass es im Jahr 2023 lange Zeit kein Rap-Album gab, das die Spitze der US-Charts erreichte. Dies änderte sich mit Lil Uzi Vert und dann natürlich Travis Scott. Anders sieht es jedoch bei den Single-Charts aus: Dort ist erstmals seit 23 Jahren ein komplettes Jahr verstrichen, seit ein Rap-Song an der Spitze war. Zuletzt gelang dies am 27. August 2022 Nicki Minaj mit „Super Freaky“. Billboard mit einem Erklärungsversuch und einer Einordnung.
  • Natürlich möchten alle gerne wissen, wie die Algorithmen der Plattformen funktionieren und wie man dieses Wissen für sich selbst nutzen kann. YouTube hat nun ein Video erstellt, in dem zumindest einige Informationen und Best Practices für sein Kurzvideo-Angebot Shorts preisgegeben werden.
  • Nochmals YouTube: Der Video-Gigant testet bei ausgewählten Android-Nutzer*innen ein Feature, bei dem man einen Song summen, singen oder einfach abspielen kann und nach wenigen Sekunden wird angezeigt, um welchen Track es sich handelt. Im Vergleich zu dem zu Apple gehörenden Shazam hat man also mehr Optionen. Bereits nach nur 3 Sekunden soll man zu den entsprechenden YouTube-Videos gelangen.
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