Industry Groove – Woche 17
Das starke Wachstum von Spotify im ersten Quartal zeigt, dass die andauernde Diskussion um ein neues Streaming-Modell ein reines Problem der Industrie ist, welche die Konsument*innen nicht tangiert. Dies ist ein Aspekt, der bei der Suche nach einem optimierten Modell keinesfalls außer Acht gelassen werden darf. Denn nicht alles, was gut für die Industrie und die Musiker*innen ist, ist automatisch auch gut für die Fans.
Für die meisten Schlagzeilen sorgen weiterhin KI und Deepfakes. Ich habe mich durch zahllose Artikel und Kommentare gelesen und was man vor allem spürt, ist eine starke Unsicherheit, gerade weil rechtlich vieles noch unklar ist und auch, weil man vielerorts nicht recht abschätzen kann, was KI nun wirklich kann und was (noch) nicht. Diese Woche möchte ich erste Lösungsansätze präsentieren und vor allem auch zeigen, dass man dem Thema zwar die verdiente Beachtung schenken muss, es aber keinen Grund zur Panik gibt.
Sollen Artists ihre Stimmen für Deepfakes zur Verfügung stellen?
- Wie gut Deepfakes mittlerweile sind, war vielen in der Musikbranche bislang nicht bewusst, sodass der Drake-The-Weeknd-Song für viele womöglich ein ordentlicher Schockmoment darstellte.
- Nun, nachdem der erste Schock überwunden ist, wird natürlich direkt nach Lösungen gesucht. Und manche argumentieren, dass man sich der Technologie nicht verschließen und daher seine Stimme zur Verfügung stellen sollte.
- Wie bereits bei NFTs präsentiert sich Grimes als Vorreiterin, indem sie verlauten lässt, jeder könne ihre Stimme für Deepfakes nutzen, wenn die Einnahmen 50/50 gesplittet werden.
- „Feel free to use my voice without penalty. I have no label and no legal bindings. I think it’s cool to be fused w a machine and I like the idea of open sourcing all art and killing copyright,“ schreibt sie auf Twitter und vergisst dabei, dass es genau das Copyright ist, das dafür sorgt, dass die Einnahmen 50/50 geteilt werden und sie dies auch durchsetzen kann. Ebenfalls nicht zu vergessen ist, dass Grimes als erfolgreiche und finanziell wohl solide abgesicherte Künstlerin aus einer sehr privilegierten Position agiert und sich problemlos auf solche Experimente einlassen kann.
- Sie sind der Meinung, dass sich allein auf die Durchsetzung des Copyrights zu fokussieren der falsche Ansatz ist. Vielmehr sollte man neue Monetarisierungsmöglichkeiten erforschen und nutzen, wie eben die vorgeschlagene Künstler-API, welche Kapital aus ihrer Einzigartigkeit schlagen soll.
- Konkret könnte dies so aussehen: Man trainiert eine KI auf seine Musik und Stimme. Diese hochwertige und vor allem vom Artist genehmigte KI wird dann gegen eine Gebühr via API-Zugang Fans und Creatorn zur Verfügung gestellt. Diese können damit Songs erstellen und wenn diese veröffentlicht werden, erhält der Künstler seinen Anteil.
- Für Building Stans ist dies jedoch nur einer von zahlreichen möglichen Use-Cases für eine API. Sie sind sich zudem auch ganz klar bewusst, dass man den Zugang zu der API sehr genau regulieren müsste. Alles noch Zukunftsmusik aber zumindest bedenkenswert.
KI-Musik und Deepfakes: Kein Grund zur Panik
- Da es nun offensichtlich geworden ist, wozu KI bereits in der Lage ist und sich das Bewusstsein durchsetzt, dass die Technologie in rasendem Tempo besser wird, dürfte in der Musikindustrie bei vielen ein mulmiges Gefühl ausgelöst haben. Dies ist nicht völlig unbegründet, aber es besteht dennoch kein Grund zur Panikmache. Ich möchte daher vor allem die nüchternen Stimmen und Kommentator*innen zu Wort kommen lassen.
- Da wäre zum Beispiel Stuart Dredge von Music.Ally, der festhält, dass KI-Musik viele Vorteile bringen kann und noch wird. Man darf nicht alles auf die „dick moves“ von gewissen Leuten beschränken, welche die Stimme von Künstler*innen ohne deren Erlaubnis klonen und damit Geld verdienen wollen. Recht hat er.
- So ähnlich sieht dies übrigens auch ein gewisser Daniel Ek, manchen vielleicht bekannt als CEO von Spotify. Einerseits ist er begeistert von den Möglichkeiten, die KI für die Musikindustrie bietet. Gleichzeitig bietet er Hand für die Zusammenarbeit mit den Labels, um gewisse Auswüchse zu unterbinden. Innovation zuzulassen, aber gleichzeitig die Creator zu schützen, wird sicherlich kein ganz leichter Spagat werden.
- Des Weiteren muss man festhalten, dass die KI-Tools enorme Fortschritte gemacht haben und sollten sie noch nicht die Massentauglichkeit erreicht haben, stehen sie wohl kurz davor. Diese Recherche von The Verge zeigt jedoch auch, dass es momentan häufig noch eher umständlich ist, einen Deepfake zu produzieren. Als Beispiel dient ein weiterer „Fake Drake“ Song namens „Not a Game“. Die Vocals basieren auf einem A-Capella, welches auf der Seite Looperman angeboten wurde. Diesen Vocals wurde dann mittels KI-Technik die Stimme von Drake übergestülpt. Der Beat des Songs stammt derweil von der Plattform BeatStars. Mit künstlicher Intelligenz wurde hier also einzig die Stimme von Drake erzeugt. Auch wenn dies alles vielleicht nicht sehr aufwändig war, ist es doch weitaus mehr als mit einem einzigen Prompt einen Song erzeugen zu lassen.
- Jessica Powell von Audioshake bezweifelt, dass „Heart on My Sleeve“ ein reiner KI-Song ist, sondern wie im obigen Beispiel mehr manuelle Arbeit eingeflossen ist. Zudem wirft sie die Frage auf, ob diese Deepfakes nicht einfach mit Remixes zu vergleichen sind. Das ist nicht komplett falsch, insbesondere wenn es um Spielereien wie Rihanna, die einen Beyoncé Song singt, geht. Das ist abgesehen von rechtlichen Aspekten harmlos. Problematischer ist, dass man einem Artist mit dieser Technologie jegliche Lyrics in den Mund legen kann. Powell ist jedoch davon überzeugt, dass Wege gefunden werden, um diese Technologie zu nutzen und neue Monetarisierungsmöglichkeiten zu schaffen.
- Tatiana Cirisano meint, einen Vorteil der kursierenden Deepfakes erkannt zu haben. Ist ein Künstler unberechenbar und die Musik nicht austauschbar, ist es viel schwieriger, einen KI-Klon davon zu produzieren als z.B. bei Drake, dessen Lieder, sind wir mal ehrlich, sehr häufig sehr ähnlich klingen. Vielleicht kann KI-Musik also dazu beitragen, dass es wieder mehr Individualität gibt.
Spotify wächst stärker als erwartet und erhöht womöglich die Preise
- Spotify hat die Zahlen für das erste Quartal 2023 veröffentlicht und diese zeigen ein größeres Wachstum als erwartet.
- Die Anzahl der Premium-Subscriber stieg auf 210 Millionen, was 5 Millionen mehr sind als im vergangenen Quartal und 28 Millionen oder 15% mehr als im Q1 des Vorjahres. Alle Regionen sind stärker gewachsen als prognostiziert, allen voran Europa und Lateinamerika.
- Insgesamt hat Spotify 515 Millionen monatlich aktive Nutzer (+22% verglichen mit Q1 2022).
- Nicht ganz den Erwartungen entsprechen hingegen die Umsätze. Diese wuchsen im Jahresvergleich zwar um 14% auf 3,04 Milliarden Euro, die Schwankungen im Werbegeschäft hätten jedoch dafür gesorgt, dass die Ziele nicht erreicht wurde. Die Werbeeinnahmen beliefen sich auf 329 Millionen Euro, während die Subscriptions 2,7 Milliarden Euro einbrachten.
- Wie praktisch immer schreibt Spotify trotzdem einen Verlust. In diesem Quartal beträgt er 156 Millionen Euro.
- Trotz des stolzen Wachstums der Premium-Subscriber sinkt das Verhältnis der Premium- zu den Free-Usern kontinuierlich. Im Q1 2019 waren noch 46% zahlende Kunden, im Q1 2022 sank die Zahl auf 43%, und nun erreichte sie mit 40% einen neuen Tiefstand. Dies ist insofern relevant, weil von den Premium-Subscribern deutlich mehr Geld zu den Künstler*innen fließt.
- Und dann geschah tatsächlich noch ein kleines Wunder: Daniel Ek verkündete, die Preise anheben zu wollen. Allerdings gibt es auch ein „Aber“: Dies hängt nämlich von den Verhandlungen mit den Major Labels ab. Zumindest Universal und Warner signalisierten schon ziemlich klar, dass sie die Preiserhöhungen für überfällig halten.
Indies sichern sich 27% des Publishing-Marktes
- Gemäß neuen Zahlen, die das Independent Music Publishers Forum (IMPF) veröffentlicht hat, vereinen die Publishing-Unternehmen, die den Major-Labels angehängt sind, einen Marktanteil von 59,9%.
- Ihren Berechnungen zufolge konnte sich der Independent-Sektor von 1,95 Milliarden Euro (2020) auf 2,08 Milliarden (2021) steigern, was einem Marktanteil von 27,1% entspricht.
- Und was ist mit den anderen 13% wird nun der souveräne Kopfrechner fragen? IMPF definiert Independent mit weniger als 5% Marktanteil. Daher sind Kobalt (6,8%) und BMG (6,2%) nicht eingerechnet. Nun geht die Rechnung auf.
- Doch auch ohne diese beiden, ist der Independent-Sektor der stärkste Player, liegt er doch vor dem größten Major, Sony Music Publishing, der es auf 24,4% bringt.
- Der gesamte Publishing-Markt war 2021 7,68 Milliarden Euro schwer.
- Die Zahlen von 2022 liegen noch nicht vor – wie die meisten Musiker*innen bestens wissen, dauert es beim Publishing immer etwas länger.
- Gegenwärtig werden rund 80% für die Master- und 20% für die Publishing-Rechte ausgeschüttet. Die Publishing-Industrie bezeichnet dies als ein Überbleibsel der CD-Ära, als die Labels hohe Kosten für die Herstellung und den Vertrieb der physischen Produkte hatten. Nun im Streaming-Zeitalter müsse diese Aufteilung jedoch neu gedacht werden.
Investitionen in Web3 gehen massiv zurück
- Wie Music.Ally richtig schreibt, wurden in den letzten Jahren viele Technologien zum „Next Big Thing“ erklärt. Als Beispiele nennen sie Konzert-Livestreaming, Social Audio, NFTs, das Metaverse, Web3 und nun aktuell KI. Nicht wenige davon wurden dann ziemlich bald wieder fallengelassen.
- Nun bekommen auch die im Web3 tätigen Firmen das sprunghafte Interesse des Publikums, aber auch der Kapitalgeber, zu spüren. Die Finanzierungen von Risikokapitalgebern brachen um 82% ein. Sie betrugen im Q1 2022 konkret 9,1 Milliarden Dollar und nun, ein Jahr später, nur noch 1,7 Milliarden. Auch die Anzahl Deals fiel von 770 auf 333.
- Allerdings müsse dies nicht unbedingt sehr viel bedeuten, denn die Finanzierungen seien fast in allen Sektoren zurückgegangen. Im Web3 einfach noch etwas stärker, unter anderem befeuert durch diverse Skandale und Pleiten im Krypto-Bereich.
- Jetzt, wo der Hype gerade anderswo liegt, kann man erstens diejenigen aussortieren, die nur auf den Hype-Zug aufgesprungen sind und zweitens den Fokus wieder darauf legen, wie die Technologie tatsächlich einen Nutzen bringen kann.
Bonus Reads
- „How Did Hip-Hop Media Get So Bad?“ – Der Titel sagt gewissermaßen schon alles und doch wird er dem sehr reflektierten Artikel eigentlich nicht ganz gerecht. Schlechter Journalismus ist das eine, die Nähe zu sehr konservativen Kreisen und -Idealen im besten und Rechtsradikalen im weniger guten Fall ist das andere. Ein nötiger Beitrag, der sich wohl problemlos auch auf den HipHop-Journalismus in unseren Breitengraden ausweiten ließe…
- Bleiben wir bei den HipHop-Schreiberlingen. Vor zwei Wochen verlinkte ich die Liste von Complex mit den mächtigsten Persönlichkeiten in der HipHop-Medienwelt. Nun hat das Complex Mag auch einen Artikel den Pionieren der HipHop-Medienlandschaft gewidmet. Show some respect!
- Der Auftritt von Frank Ocean beim Coachella hat Diskussionen ausgelöst und Eleanor Halls zu einigen interessanten Gedankenspielen zum Thema “Was schulden Artists ihren Fans?“ angeregt.
- Eine Untersuchung zeigt, dass im Vergleich zur musikalischen Begleitung die Leadvocals über die Jahre leiser geworden sind. Zudem gibt es klare Unterschiede zwischen verschiedenen Genres. Ich bin immer wieder fasziniert davon, was für nerdige Themen sich manche Leute für ihre Studien aussuchen. Großartig!