Industry Groove – Woche 16

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Vorausgesetzt, du hast die letzten Tage nicht unter einem Stein auf dem Mars verbracht, hast du wahrscheinlich mitbekommen, wie ein komplett oder mehrheitlich mit KI erstellter Song namens „heart on my sleeve“ mit den Stimmen von Drake und The Weeknd für Furore gesorgt hat. Zusätzlich machten diverse „Cover-Versionen“, wie etwa ein AI-Drake, der „Munch“ von Ice Spice performt, die Runde. Während die Covers auf Social Media stattfanden, schaffte es die vom ominösen ghostwriter hochgeladene Drake- und The-Weeknd-Collabo auf Spotify, Apple Music, YouTube Music und Co., wenn auch nicht für lange.

„im just getting started“ ließ ghostwriter auf TikTok verlauten und natürlich ist dies erst der Anfang. Die Musikindustrie steht vor der großen Frage, wie sie damit umgehen will. Denn klar ist: Die Technologie ist da, sie wird nicht verschwinden und vor allem wird sie immer besser werden. Die Büchse der Pandora ist geöffnet und nun braucht es eine pragmatische Lösung und zwar möglichst bald. Der erste Reflex ist natürlich, einen Riegel vorzuschieben und alles zu verbieten. Doch wiederholt man damit nicht einfach Fehler aus der Vergangenheit, als die Musikbranche schon mal dachte, Veränderungen aufhalten zu können und dann in eine tiefe Krise rutschte? Einfach zuzuschauen ist aber natürlich ebenfalls keine Option, da sonst abertausende Songs wie „heart on my sleeve“ die DSPs fluten werden. Eine einfache Lösung gibt es mit Sicherheit nicht, der Industry Groove Newsletter wird die Annäherung an mögliche Ergebnisse eng begleiten.


Wie weiter mit KI-Musik und Deepfakes?

  • KI hat das Potenzial, viele Künstler*innen bei ihrem kreativen Prozess zu unterstützen. Doch in den letzten Tag wurde offensichtlich, dass die Möglichkeiten von KI weit darüber hinausgehen und auch Bad Actors somit neue Tools für ihre betrügerischen Maschen erhalten haben.
  • Gefährlich wird es zweifellos dann, wenn ein Artist quasi die Kontrolle über seine Stimme verliert. Wenn man mit einfach zu bedienenden Tools die Stimme von bekannten Artists imitieren kann, bewegen wir uns in vielerlei Hinsicht auf enorm dünnen Eis.
  • Die momentanen Coverversionen können natürlich als harmlose Spielereien angesehen werden, die primär in Sachen Copyright problematisch sind. Wirklich gefährlich wird es jedoch, wenn Künstler*innen z.B. politische Botschaften in den Mund gelegt werden, die sie so niemals äußern würden. Drake einen rassistischen Text rappen zu lassen, ist bereits jetzt problemlos möglich und als Konsument*in wird man bald nicht mehr wissen, was echt ist und was nicht.
  • Beim konkreten Beispiel des Drake- und The-Weeknd-Tracks kommt hinzu, dass es sich nicht um ein Cover, sondern um einen neuen Song handelt. Die gesamte Copyright-Situation ist daher noch komplizierter, insbesondere weil ghostwriter, der den Song bei den DSPs veröffentlichte, Drake und The Weeknd nicht als Künstler markierte. Die Anwälte von Universal werden wohl Überstunden schieben müssen.
  • Kleine Randnotiz: ghostwriter scheint einen kleinen Rachefeldzug gegen die Industrie zu führen. Auf TikTok schrieb er: “i was a ghostwriter for years and got paid close to nothing just for major labels to profit. The future is here.“ Das darf man wohl als Drohung verstanden wissen.
  • Doch auch die Reaktion von Universal hat durchaus einen leicht drohenden Unterton: “Es stellt sich die Frage, auf welcher Seite der Geschichte alle Beteiligten im Musik-Ökosystem stehen möchten: auf der Seite der Künstler*innen, Fans und der menschlichen kreativen Ausdrucksweise oder auf der Seite von Deepfakes, Betrug und der Verweigerung von angemessener Entlohnung der Artists.”
  • Die Musikindustrie steht nun vor der schwierigen Frage, wie sie mit dieser Situation umgehen soll. Natürlich ist die erste Reaktion, ein vollständiges Verbot zu fordern. Gut möglich, dass Universal sich nun auf ghostwriter und auch den Vertrieb (wir waren es nicht), der den Song hochlud, stürzen wird. Doch die Geschichte zeigt, dass solche Verbote weder nützlich sind noch komplett durchgesetzt werden können. Die Fehler, die am Ende der CD-Ära gemacht wurden, sollte man nicht wiederholen. Doch was ist die Alternative?
  • Erste Stimmen fordern, es einfach zuzulassen, jedoch unter der Voraussetzung, dass klar ersichtlich ist, dass es sich dabei um einen KI-Song handelt. Sie plädieren dafür mit KI-Musik umzugehen, wie bei der Content-ID von YouTube. Die User können populäre Songs für ihre Videos nutzen, die Einnahmen gehen jedoch zu den Artists. Es bräuchte also ironischerweise eine KI, um die mit KI erstellten Songs herauszufiltern.
  • Der Unterschied ist jedoch: bei der Content-ID handelt es sich um Songs, die der Artist selbst erstellt hat und über die er die kreative Kontrolle hatte. Ganz anders sieht es bei von KI erstellter Musik aus, wo nur die Stimme dem Künstler „gehört“, er aber ansonsten keinerlei Einfluss auf den Song hat. Müsste somit also jeder einzelne Song manuell geprüft werden? Und wenn sie approved werden, wird der Artist markiert und landet der KI-Song dann auf dem offiziellen Künstlerprofil? Wenn ja, wie können Fans dann noch unterscheiden, was wirklich von ihrem Lieblingskünstler stammt und was von einem KI-Programm? Ja, es ist kompliziert.
  • Ebenfalls bereits vermutet wird, dass die finanzstarken Labels bald reihenweise KI-Firmen aufkaufen werden.
  • Wer einen Deep Dive zum Thema KI und Deepfakes machen möchte, dem empfehle ich diesen Link.
  • Eine gewohnt scharfsinnige Analyse kommt von MIDiA.

In welchen Genres dominieren die Majors die Playlisten?

  • Es ist kein Geheimnis, dass die bei Major Labels gesignten Künstler*innen überproportional in den Playlisten von Spotify vertreten sind. Dies habe ich bereits in diesem Artikel aufgezeigt.
  • Dmitry Pastukhov wollte es jedoch genauer wissen und untersuchte daher die 500 (!! ) populärsten Genres sowie über 6.000 Playlisten auf Spotify.
  • Bei den populärsten Genres (Pop, Dance Pop, HipHop, Rock und EDM) betrug der Major-Anteil im Schnitt 48%. Der deutlich geringste Anteil an Major-Label-Songs in den Top 10 Genres ist bei EDM zu finden, wo gerade Mal 27,5% der Songs über einen Major erschienen. Dies gilt auch für weitere elektronische Genres in den Top 100.
  • Betrachtet man die 100 populärsten Genres, liegt der Major-Anteil noch bei 43%. Über alle 500 untersuchten Genres hinweg sinkt er auf 27%. Je weniger populär ein Genre ist, desto tiefer ist im Schnitt auch der Anteil von Major-Label-Songs.
  • Besonders stark vertreten sind die Indies bei lokalem Repertoire, Nischensounds sowie neuen Genres.
  • Natürlich kommt es nicht unbedingt überraschend, dass die Majors in Nischengenres weniger präsent sind, trotzdem ist die Untermauerung mit Zahlen sehr aufschlussreich.

Der nächste Schritt zum TikTok-Ban?

  • Es bleibt weiterhin unklar, ob TikTok in den USA, und in einem nächsten Schritt womöglich auch in anderen westlichen Ländern, verboten wird. Allerdings sind wir nun einen kleinen Schritt näher an dem Ban.
  • Das Repräsentantenhaus des Bundesstaates Montana hat für einen Gesetzesentwurf gestimmt, der TikTok in dem US-Bundesstaat verbieten würde. Dieser muss jetzt noch vom Gouverneur von Montana unterzeichnet werden, damit er definitiv Gesetz wird.
  • Bislang hat sich der republikanische Gouverneur nicht dazu geäußert, ob er dies zu tun gedenkt.
  • Sollte er seine Unterschrift geben, ist davon auszugehen, dass das Gesetz angefochten wird. Dies würde dann zum Testballon werden für ein landesweites Verbot.
  • Sollte der TikTok-Ban in Montana Tatsache werden, wäre Montana neben Afghanistan und Indien das einzige Territorium weltweit, welches die chinesische App komplett verbietet.
  • TikTok hat in den USA 150 Millionen User, was 45% der Bevölkerung entspricht.

Der Einfluss von Influencern auf virale TikTok-Songs

  • Dieser Artikel zeigt, dass sich virale Songs auf TikTok meist organisch anfühlen, obwohl dahinter oft eine Kampagne und Influencer stecken.
  • Während sich kleinere Influencer mit einigen hundert Euro zufriedengeben, sollen die Großkaliber teilweise fünfstellige Summen von Labels oder PR-Firmen erhalten.
  • Da die Gesetzeshüter und auch TikTok selbst mehr Wert auf Transparenz legen, ist der Hashtag #MusicAd bei populären Posts immer häufiger zu sehen, wenn auch möglichst versteckt. Meist halten sich nur die wirklich großen Influencer daran, die auch etwas zu verlieren haben.
  • Kleinere Acts haben das Nachsehen, weil sie sich solche Kampagnen nicht leisten können. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass teure Kampagnen keinen Erfolg garantieren, insbesondere nicht beim unvorhersehbaren Algorithmus von TikTok.
  • Dass TikTok manchmal auch selbst dafür sorgt, dass Songs viral gehen, sie nennen dieses einen Song „heaten“, habe ich hier bereits aufgezeigt.

Gender-Pay-Gap bei Berufsmusiker*innen

  • Der Deutsche Musikrat sowie das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) haben gemeinsam eine Studie durchgeführt, für die 650 Berufsmusiker*innen befragt wurden.
  • Die Umfrage ergab, dass nur 30% der Befragten ausschließlich von der Musik leben können. Der Rest geht zusätzlich einer musikpädagogischen Tätigkeit oder einem sonstigen Job nach.
  • Alle Einkommen zusammengerechnet, ergibt dies im Schnitt ein Nettoeinkommen von 2.660 Euro. Allerdings verdient jede*r fünfte Berufsmusizierende weniger als 1.500 Euro monatlich. Wer in einem Angestelltenverhältnis tätig ist, verdient im Schnitt mehr (2.940) als freiberuflich tätige Musiker*innen (2.460).
  • Besonders unschön ist die unübersehbare Gender-Pay-Gap. Frauen verdienen im Schnitt 24% weniger als Männer. Ihr Nettoeinkommen liegt bei 2.210 Euro, dasjenige der Männer bei 2.890. Von den Berufsmusikern verdienen 15% weniger als 1.500 Euro, bei den Berufsmusiker*innen sind es hingegen 24%.
  • Erfreulich ist hingegen, dass 82% der Befragten der Meinung sind, dass sie mit ihrer Berufsentscheidung richtig lagen und sie sich auch heute wieder dafür entscheiden würden, professionell Musik zu machen.

Bonus Reads

  • “Link in Bio“ ist der vielleicht meistgepostete Satz auf Instagram. Bisher konnte man auf Instagram bekanntlich nur einen einzigen Link posten. Dies ändert sich nun: Ab sofort lässt Instagram bis zu fünf Links in der Bio zu. Nur reichen den meisten Artists fünf Links wohl bei weitem nicht aus, zudem kann das Tool optisch nicht mit den gängigen Smartlink-Anbietern mithalten. Ein Schritt in die richtige Richtung, mehr aber nicht.
  • Es scheint, als mache Spotify einen Frühlingsputz – alles was nicht mehr benötigt wird, muss raus. Nachdem sie eben erst Spotify Live eingestellt haben, wurde nun bekannt, dass sie auch das Musik-Quizspiel Heardle per 5.5. einstampfen. Weniger als ein Jahr, nachdem sie dieses gekauft haben.
  • KI ist das dominierende Thema diese Woche, und dazu passt eine Umfrage, die der Musikvertrieb Ditto bei seinen Kunden durchgeführt hat. Diese kommt zum für viele wohl überraschenden Schluss, dass KI bereits viel häufiger genutzt wird, als erwartet. 60% der Befragten nutzten KI bereits für ein Release. Die meisten zwar für das Artwork oder das Mastering, immerhin 20,3% aber auch für die Produktion und 11% für das Songwriting. Eine große Mehrheit will dies auch in Zukunft tun oder ausprobieren. Nur 28,5% gaben an, dass sie niemals KI für ihre Musik einsetzen würden.
  • Wie bereits berichtet, will Universal Music ein neues Streaming-Modell und zwar eines, welches sie als Artist-Centric bezeichnen. David Martin, CEO der Featured Artists Coalition, ist der Meinung, wenn man Artist-Centric will, müsste man auch mit den Artists sprechen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche besser zu verstehen.
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